KLASSIK
Diverse Kom ponisten
TONIG HT-W ELTHITS
VON BERLIN BIS BROADWAY
Renée Fleming, Klaus Florian Vogt, Staatskapelle
Dresden, Christian Thielemann
DG/Universal CD_______________________ (75)
Der „Star“ dieses Neujahrskon-
zertes aus Dresden ist nicht der
Dirigent Christian Thielemann,
sind auch nicht die Gesangssolis-
ten Renée Fleming und Klaus Flo-
rian Vogt, sondern ist das vorzüg-
liche Orchester: die Staatskapel-
le Dresden, die diese Musik mit ei-
ner Spielkultur adelt, die keinen
Vergleich zu scheuen braucht - in
den Walzern selbst den nicht der
Wiener Philharmoniker. Am gelun-
gensten und unterhaltsamsten wir-
ken denn auch die reinen Orches-
terstücke, etwa Paul Linkes un-
verwüstliche „Berliner Luft“, die
in dieser schwungvollen Interpre-
tation sogar in Dresden das Pub-
likum zum Mitklatschen animiert,
oder vor allem das fulminante „In-
termezzo“ aus Eduard Künnekes
„Tänzerischen Suite“ - ein hinrei-
ßendes Intermezzo, das den drin-
genden Wunsch stimuliert, die gan-
ze Suite in solcher rhythmisch be-
schwingten, aufs Feinste nuancier-
ten Interpretation zu hören.
Die Gershwin-Nummern - da-
runter auch „The Loreley“ aus
dem in Dresden (!) spielenden Mu-
sical „Pardon My English“ - wirken
ein wenig zu gewichtig und ange-
strengt, und überhaupt neigt Renée
Fleming leider dazu, in ihren Songs
allzu sehr zu forcieren und mit kul-
minierenden Spitzentönen für die
Galerie etwas billig, aber natürlich
effektvoll zu brillieren. Aber der Ef-
fekt nutzt sich dann auch ab. Klaus
Florian Vogt singt wohl schlichter,
gewissermaßen „natürlicher“, aber
C D s
|
NEUES AUS
auch etwas bieder. Und Gershwins
Ouvertüre zu „Strike Up The Band“
erinnert dann in Thielemanns Les-
art an einen - immerhin pfiffigen
- Militärmarsch. Aber in diesen
Stil mag er sich noch hineinfinden.
Auch wären die Nummern, ohne
gleich das festlich gestimmte Pub-
likum zu frustrieren oder zu ver-
stimmen, etwas mutiger auszuwäh-
len gewesen. So hätte man durch-
aus Weills „Foolish Heart“ aus dem
Musical „One Touch Of Venus“ mit
einem Song aus seiner „Dreigro-
schenoper“ oder aus der „Maha-
gonny“-Oper kontrastieren kön-
nen. In Berlin leuchteten in den
1920
er Jahren nun einmal nicht nur
die Sterne, die Leo Leux in seiner
hier berücksichtigten Filmmusik
erglänzen lässt, sondern man be-
sang auch den „schönen grünen
Mond von Mahagonny“ und glaub-
te, New York wäre solch ein Stadt, in
der man „alles dürfen darf“. Jeden-
falls wäre für Fortsetzungen solcher
musikalisch-lustvollen Konfrontati-
onen reichlich gesorgt.
Giselher Schubert
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
DER MUSIKWELT
EMANUEL
"kr
Carl P hilipp Emanuel Bach
BERLINER SINFONIEN
Orchestre de Chambre de Lausanne
MDG/NAISACD________________________(69]
Carl Philipp Emanuel Bachs am Ho-
fe Friedrichs des Großen entstan-
dene Sinfonien, die so genannten
„Berliner Sinfonien“, sind noch ein
Stück weit entfernt von der radika-
len Musiksprache seiner Hambur-
ger Zeit. Trotzdem gelten auch die
sechs Berliner Werke als Ausweis
der spezifischen Handschrift ihres
Schöpfers.
Ihre Wiedergabe setzt beim In-
terpreten einiges voraus: präzi-
ses Ensemblespiel, einen reichen
Fundus musikalischer Affekte und
die Fähigkeit, auf engstem Raum
scharfe Kontraste zu realisieren.
Insofern ist diese Musik ein ge-
fundenes Fressen für die hoch-
klassigen Originalklang-Ensem-
bles unserer Tage.
Dass Darmsaiten und Barockbo-
gen jedoch nicht unabdingbare Vo-
raussetzung für eine insgesamt ge-
lungene Interpretation der sechs
Werke sind, zeigen der inzwischen
vom Pianisten zum „reinen“ Diri-
genten mutierte Christian Zacharias
und das Kammerorchester aus Lau-
sanne. Die vielen Unisono-Passa-
gen geraten dem schweizerischen
Ensemble „wie ein Mann“ trotz
der vom künstlerischen Leiter gern
recht forsch genommenen Tem-
pi, vor allem in den Ecksätzen. Za-
charias und seine Musiker spielen
Bachs Sinfonien mit Präzision und
Verve, wobei allerdings das letz-
te Quäntchen Mut fehlt, sich jenen
dramatischen Zugriff zu gestatten,
den diese Stücke brauchen, um ih-
re Wirkung vollends zu entfalten.
Wer’s allerdings auch in die-
ser Musik lieber etwas beschau-
licher hat, der ist mit dieser Ein-
spielung bestens bedient, zumal
sich die Produktion durch ein
wunderbar klares und hochdyna-
misches Klangbild auszeichnet.
Arnd Richter
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
Wo fgang Amadeus M ozart
SECHS VIOLINKONZERTE
Mirijam Contzcn, Bayerische Kammerphilharmo-
nie, Reinhard Goebel
Oehms/Naxos 2 CDs
(123')
Man stelle sich für die Interpreta-
tion von Mozarts Violinkonzerten ei-
ne Skala vor: Wenn deren eines En-
de durch Anne-Sophie Mutter be-
setzt wäre, dann fände man die Inter-
pretation von Mirijam Contzen und
Reinhard Goebel exakt am entge-
gengesetzten. Auf Hochglanz polier-
ten Geigenton findet man hier näm-
lich ebenso wenig wie süffigen Or-
chestersound. Das inzwischen ideal
aufeinander eingespielte Gespann
Contzen/Goebel definiert die Sicht
auf dieses Kernrepertoire neu. Auch
mit über
60
ist der langjährige Chef
der Musica Antiqua Köln weder al-
tersmilde noch in musikalischen De-
tailfragen kompromissbereit, und in
Mirijam Contzen hat er für seinen
Interpretationsansatz die passende
Solistin gefunden. Die beiden be-
freien selbst die größten Repertoire-
schlager wie das A-Dur-Konzert von
jeder philharmonischen Patina. Man
muss sich regelrecht hineinhören in
die ungewohnte Phrasierung, die de-
tailreiche Artikulation, die straffen
Tempi und die kontrastreiche Dyna-
mik. Hat man aber erstmal ein paar
Zentner Hörerfahrung über Bord ge-
worfen, ist der Lustgewinn umso hö-
her. Man wird sich beim wiederhol-
ten Hören über immer neue Aspek-
te freuen, die aus dem Nebel des
sattsam Geläufigen ans Licht treten.
Die langsamen Sätze verkommen
nicht zu Klassikschnulzen, und die
Ecksätze werden zu gestenreichen
Hinhörern. Mirijam Contzen agiert
virtuos und geht klanglich gern
schon mal aufs Ganze, ohne dabei
jedoch jemals den sicheren Boden
unter den Füßen zu verlieren. Ein be-
sonderes Bonbon dieser Einspielung
ist das D-Dur-Konzert KV
271
, dessen
Echtheit oft angezweifelt wird, das
Reinhard Goebel aber zweifelsfrei
zu den authentischen Mozart-Kon-
zerten gezählt wissen möchte. Hier
gibt es Mozart für Genießer, die die
herberen Bouquets bevorzugen.
Arnd Richter
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
I
Johann Sebastian Bach
№
INVENTIONEN UND SINFONIEN
Simone Dinnerstein
Sony CD______________________________(53]
Es entbehrt nicht einer gewissen
Ironie, dass ausgerechnet dassel-
be Label, das Glenn Goulds disko-
grafisches Erbe verwaltet, auch die
Amerikanerin Simone Dinnerstein
als Bach-Interpretin präsentiert.
Das Spiel der mittlerweile
41
-Jähri-
gen ist sehr kultiviert und kontra-
punktisch versiert, ihr Ton hat Wär-
me, die Linienführung gesangliches
Finish. Ihr Musizieren ist zurück-
haltend zart, meidet echte Kont-
raste, so dass es gleichsam keine
Schatten wirft. Ohne Zweifel wird
der Zuhörer durch Dinnersteins ge-
schmackvolles Spiel auf hohem Ni-
veau unterhalten, aber eindringli-
che musikalische Erlebnisse kann
er hier kaum erwarten.
F.S.
MUSIK
KLANG ★ ★ ★ ★
142 STEREO 5/2014
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht